Im Zuge des Bürgerentscheids zur Verpachtung von städtischen Flächen wurden die Fraktionen zu einer Stellungnahme aufgefordert. Als Reaktion auf die Stellungnahmen der Fraktionen CDU, AFD und FDP/MUG ist der folgende Faktencheck entstanden.
Stellungnahme der CDU -Fraktion
Gibt es illegale Einreisen und ist die derzeitige massive illegale Migration in die Bundesrepublik Deutschland aus Ländern, bei denen in den allermeisten Fällen eine Bleibeperspektive überhaupt nicht besteht, relevant?
Die mit Abstand meisten Asylsuchenden kamen 2023 aus Syrien (104.561), der Türkei (62.624) und Afghanistan (53.582). Für Syrien bestand wegen des andauernden Krieges eine Schutzquote von 88,2%, für Afghanistan aufgrund der Machtübernahme der Taliban von 76,5%. Eine sehr niedrige Schutzquote bestand 2023 für Asylsuchende aus der Türkei. Hier wurden lediglich 13% der Asylanträge positiv beschieden.
Weitere Länder mit hohem Fluchtaufkommen Richtung Deutschland (in Klammern die jeweiligen Schutzquoten): Irak – 12.360 (25%), Iran – 10.206 (29,5%), Georgien – 9.399 (0,3%), Russische Föderation – 9.028 (9,1%), Somalia – 5.773 (77,4%) und Eritrea – 4.230 (84,5%). (Vgl. BAMF Aktuelle Zahlen Bericht 12/2023 (bamf.de)).
Setzt man diese Zahlen ins Verhältnis zueinander, so lässt sich die obige Aussage der CDU-Fraktion in ihrer Pauschalität nicht halten.
Wer ist ein illegaler Migrant?
Mit der Aussage, es läge eine massive illegale Migration aus Ländern mit niedriger Bleibeperspektive vor, wird impliziert, es gäbe für Kriegsflüchtlinge aus Ländern mit hoher Bleibeperspektive, wie z.B. Syrien oder Eritrea, die Möglichkeit einer legalen Einreise. De facto existiert kein legaler Weg zur Einreise für Flüchtlinge aus diesen Ländern. Die in dem Statement der CDU-Fraktion vorgenommene Abgrenzung zwischen Kriegsflüchtlingen einerseits und illegaler Fluchtmigration auf der anderen Seite ist demnach objektiv betrachtet nicht haltbar.
Abschiebung und straffe Rückführung würden den Bau einer Containerunterkunft überflüssig machen.
Die CDU-Fraktion weist darauf hin, den Medien sei zu entnehmen, dass zu wenig ausreisepflichtige Asylbewerber auch wirklich wieder abgeschoben würden. Zudem wird suggeriert, dass „straffe Rückführungsmaßnahmen“ dazu beitragen würden, eine Unterbringung in Containern überflüssig zu machen.
Wie bereits aus den vorgenannten Zahlen ersichtlich wird, kann die Fluchtmigration nach Deutschland größtenteils auf Länder zurückgeführt werden, für die eine hohe Bleibeperspektive besteht. Die sogenannte „bereinigte Schutzquote“ für alle Asylsuchenden lag 2023 bei 69 %. Zahl der Flüchtlinge | Flucht & Asyl | Zahlen und Fakten | MEDIENDIENST INTEGRATION (mediendienst-integration.de). 31% wären demnach ausreisepflichtig und könnten auf den ersten Blick direkt abgeschoben werden. Allerdings haben 80 % der „Ausreisepflichtigen“ einen Duldungsstatus. Das heißt: Sie wurden aufgefordert, das Land zu verlassen, können aber „aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen“ nicht abgeschoben werden. Abschiebungen | Flucht & Asyl | Zahlen und Fakten | MEDIENDIENST INTEGRATION (mediendienst-integration.de)
Für den Landkreis Mecklenburgische Seenplatte, ebenso wie für das gesamte Land, gelten rechtliche Standards, nach denen eine sofortige Rückführung ausreisepflichtiger ausländischer Staatsbürger kaum umsetzbar ist. Doch selbst wenn diese umgesetzt werden könnte, wäre bei dem derzeitigen Fluchtgeschehen Richtung Deutschland davon auszugehen, dass in einigen Kommunen weiterhin Behelfsunterkünfte errichtet werden müssten.
Die ebenfalls von der CDU-Fraktion geforderte „ordnungsgemäße Steuerung und auch eine Begrenzung der Einwanderung nach Deutschland“ könnte Abhilfe schaffen. Allerdings bleibt ungeklärt, wie unter Berücksichtigung des aktuellen Asylrechts und der internationalen Standards eine derartige ordnungsgemäße Steuerung tatsächlich gelingen soll, ohne Menschen nach willkürlichen „Nutzkriterien“ einzusortieren.
Stellungnahme der AFD-Fraktion
Die AFD hält den Bürgerentscheid für unnötig. Statt sich mit der Thematik der Flüchtlingsunterbringung zu beschäftigen, wird die Stellungnahme genutzt, um über Massenvergewaltigungen und Messerstechereien zu phantasieren. Auf die einzelnen rassistischen und schon oft genug widerlegten Vorbehalte gegenüber Migranten wird im Folgenden nicht näher eingegangen. Lediglich die Behauptung, dass Geflüchtete jahrelang auf Kosten der „deutschen Solidargemeinschaft“ leben würden, soll im Folgenden näher untersucht werden.
Ist es korrekt, dass die Geflüchteten „auf viele Jahre hinaus nichts zur deutschen Solidargemeinschaft beitragen werden, sondern es sich im System bequem machen“?
Die Geflüchteten und andere Migranten haben in den ersten Jahren nach der Ankunft eine niedrigere Erwerbstätigkeitsquote und auch einen niedrigeren Verdienst, holen dann aber nach und nach auf. Laut einer Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung lag die Erwerbsquote der 2015/2016 zugezogenen Flüchtlinge drei Jahre nach dem Zuzug bei ca. 35 % sieben Jahre nach dem Zuzug bei 62%. Besonders augenfällig ist ein starker Unterschied zwischen den Geschlechtern. Sieben Jahre und mehr nach dem Zuzug waren lediglich 26 Prozent der Frauen berufstätig. Bei den Männern waren es hingegen bereits 76 Prozent.
Zum Vergl: Die Erwerbstätigkeitsquote der Gesamtbevölkerung im erwerbsfähigen Alter (15-65) lag 2021 bei 75,6 %. Bei Männern 79,2 %. Bei Frauen 72%.
Die wöchentliche Anteil der Vollzeitbeschäftigten unter den erwerbstätigen Menschen mit Fluchthintergrund, lag lt. der Studie sieben Jahren nach der Ankunft bei 69 % und damit 7 % über dem Anteil der Vollzeibeschäftigung Entwicklung der Arbeitsmarktintegration seit Ankunft in Deutschland: Erwerbstätigkeit und Löhne von Geflüchteten steigen deutlich (iab.de)
Die Zahlen zeigen, das gerade in den ersten Jahren der Anteil der Erwerbstätigen gering ist. Danach steigt der Anteil stetig an. Bei den Männern ist der Anteil der Erwerbsbevölkerung mit Fluchthintergrund nach sieben Jahren fast genauso hoch wie bei dem Bevölkerungsdurchschnitt. Niedrig ist hingegen weiterhin der Anteil der erwerbstätigen Frauen mit Fluchthintergrund. Die pauschale Behauptung, die Geflüchteten würden es sich auf viele Jahre in unserem System bequem machen, ist demnach nicht wahr.
Stellungnahme der FDP/MUG Fraktion
Die FDP/MUG Fraktion hat sich im Gegensatz zu den anderen Fraktionen tatsächlich an einer inhaltlichen Stellungnahme zu dem Thema Containerunterkünfte versucht. Dabei hat die FDP MUG Fraktion im Gegensatz zur AFD und CDU ebenfalls der Versuchung widerstanden die Stellungnahme zum Thema Flüchtlingsunterbringung in der Kommune für eine Abrechnung mit der mit der Migrationspolitik der letzten Jahre zu nutzen. Das ist löblich.
Leider hat die Fraktion FDP/MUG für Ihre Stellungnahme auf Behauptungen aufgebaut, die sich bei näherem Hinsehen größtenteils als falsch entpuppen.
Ist es korrekt, dass „die Errichtung von Gemeinschaftsunterkünften in Form von ‚Containerdörfern‘, die mit großem Abstand menschenunwürdigste und zugleich kostenintensivste Form der Unterbringung von Flüchtlingen“ darstellt?
Aus Sicht der Geflüchteten selbst sind Wohncontainer der Unterbringung in Sammelunterkünften wie Zelten, Sporthallen oder Industriehallen vorzuziehen. Container gewährleisten zumindest ein gewisses Maß an Privatsphäre, was bei den zuletzt genannten Unterbringungsmöglichkeiten nicht der Fall ist.
Die Aufstellung von Containern ist deutlich kostengünstiger als der Neubau von Unterkünften für Geflüchtete. Containermodule sind in den meisten Fällen auch günstiger als der Umbau von vorhandenen Gebäuden, wie z.B. von Büro- oder Industriegebäuden in Unterkünfte mit separaten Schlafräumen, Nasszellen und Gemeinschaftsküchen.
Container sind immer dann die humanste und günstigste Form der Unterbringung, wenn keine Wohnungen oder andere Gebäude, wie z.B. leerstehende Hotels, Jugendherbergen oder Heime, für die Unterbringung vorhanden sind. Demnach ist die Aussage, Container seien mit Abstand die menschenunwürdigste und zugleich kostenintensivste Form der Unterbringung, falsch.
Ist es korrekt, dass „wer zu Hause bleibt und sich nicht beteiligt, der stimmt schlicht und einfach für die Errichtung von ‚Containerdörfern‘ in unserer Stadt“?
Wenn die erforderliche Anzahl von Stimmen weder für „Ja“ noch für „Nein“ zustande kommt oder das Quorum nicht erreicht wird, wird das Stadtparlament erneut über eine Verpachtung abstimmen. Wer zuhause bleibt und sich nicht beteilig, bewirkt somit schlicht und einfach, dass die Entscheidung wieder an das Stadtparlament zurückverwiesen wird. Dabei ist nach derzeitigem Stand davon auszugehen, dass die mehrheitsführenden Fraktionen CDU, AFD und FDP/MUG eine Verpachtung oder einen Verkauf auf parlamentarischem Wege verhindern werden. Für Unterkünfte müsste dann im schlimmsten Falle auf vorhandene städtische Räume, wie z.B. Turnhallen, zurückgegriffen werden.
Zudem ist, laut einem Schreiben der unteren Rechtsaufsichtsbehörde des Landkreises Mecklenburgische Seenplatte vom 30.10.2023, selbst dann, wenn die erforderliche Anzahl von Nein-Stimmen zustande kommt, nicht ausgeschlossen, dass mangels Alternativen trotz eines anders lautenden Bürgervotums Containerunterkünfte auf städtischen Grundstücken errichtet werden.
Ist es korrekt, dass unter Berücksichtigung der geltenden rechtlichen Rahmenbedingungen, die Errichtung von „Containerdörfern“ auf Flächen, die nicht im Eigentum der Stadt sind, aktuell ausgeschlossen ist? Gibt es tatsächlich keine geeigneten privaten Flächen auf dem Gebiet der Stadt Waren (Müritz), die eine „Containerdorf“-Bebauung als temporäre Wohnbebauung zulassen?
Für die Errichtung von Flüchtlingsunterkünften in Gewerbegebieten und in Außenbereichen gelten weiterhin die in § 246 (Absätze 8 bis 17) Bau-Gesetzbuch festgehaltenen Ausnahmegenehmigungen. Demnach können auch in Waren (Müritz) Flüchtlingsunterkünfte ohne entsprechende Bauleitpläne auf Gewerbegrundstücken oder im Außenbereich errichtet werden. BMWSB – Flüchtlingsunterbringung – Flüchtlingsunterbringung und Bauplanungsrecht (bund.de)
Eine Klage gegen eine derartige Errichtung hat, wie das Beispiel Upahl zeigt, immer dann nur geringe Aussichten auf Erfolg, wenn keine andere Lösung für die Unterbringung umsetzbar ist. Aktuell – Regierungsportal M-V (regierung-mv.de). Anhand der Containeraufstellung neben der neuen Post in Malchin lässt sich zudem erkennen, dass baurechtlich auch kleinere Grundstücke für die Errichtung von Containerunterkünften in Frage kommen.
Somit ist die Aussage, dass eine Bebauung mit Containern auf den vorhandenen Privatflächen in der Stadt Waren (Müritz) nicht zulässig sei, in dieser pauschalen Form falsch.
Es wird seitens des Landkreises bewusst außer Acht gelassen, dass ein erheblicher Wohnungsleerstand im ländlichen Raum einem großen Wohnungsmangel in fast allen größeren Städten gegenübersteht.
Tatsächlich stehen auf den Dörfern zahlreiche Wohnungen in den Neubaublocks leer. Zum Teil stehen auch seit Jahren ganze Blöcke leer. Dieser Leerstand wird auch dem Landkreis nicht entgangen sein. Die Wiederherstellung der Wohnungen in den Blöcken macht für die Eigentümer ökonomisch allerdings nur dann Sinn, wenn eine langfristige Perspektive zur Vermietung vorhanden ist. Die Mietverträge des Landkreises für Flüchtlingsunterkünfte übersteigen in der Regel drei Jahre nicht.
Neben den hohen Kosten für die Wiederherstellung der Gebäude bzw. Wohnungen in dörflichen Lagen stellt die fehlende soziale und infrastrukturelle Anbindung in diesen dörflichen Lagen ein ernsthaftes Integrationshemmnis dar. Die mangelnde Integration und die fehlenden Möglichkeiten zum Spracherwerb sowie die erschwerte Einbindung in den Arbeitsmarkt ziehen erhebliche Folgekosten nach sich.
Faktisch ist die Aussage zum Wohnungsleerstand auf dem Land richtig. Doch trotz unbewohnter Wohnungen und leerer Wohnblöcke erscheint eine Unterbringung von Geflüchteten allein in dörflichen und kleinstädtischen Lagen in der Gesamtbetrachtung nicht sinnvoll.